leseprobe aus "dorothee sölle - das lesebuch"
der lange marsch
vielleicht haben wir uns das zu einfach gedacht
als wir losgingen damals
auf dem langen marsch durch die wüste
um bessere methoden zu finden füreinander dazusein
o herr haben wir gedacht mach uns zum werkzeug
deines friedens
aber was kam war der lästige streit mit der behörde
die ordnung will und nicht frieden
die tägliche mühsal um nichtigkeiten
und das schreckliche alleingelassenwerden
da wurden die werkzeuge des friedens
zu querulanten und lästigen störern
der schönen einstimmigkeit
viele haben es jetzt schon immer gewusst
dass nichts zu machen ist im rahmen kirche
wer kann schon jahrelang von manna leben
und keinen sinn sehen in dem was er tut
viele haben es satt und wünschen sich nach ägypten
wo steuern flossen wie milch und honig
und die kirchen voll waren und die lieder
von allen gekannt fröhlich klangen
wie lange soll der marsch noch dauern
was bedeutet das vierzig jahre
ist es unsere generation die verheizt wird
oder die nächste noch und wozu
lohnt sich das ziel für ein ganzes leben
voll mühe und konferenzen
kommen wir je heraus aus der erstarrung
immer nur sand und steine und keine menschen
die mit uns an der arbeit bleiben
die uns helfen eindeutig und öffentlich zu sprechen
wenig hilfe von unten selten verstanden zur seite
und von oben der uralte trick
jede frage zur sache als disziplinarfall zu nehmen
um herrschaft zu sichern und ordnung
und die unanständige sprache des einfachen volkes
fernzuhalten von allen kanzeln
die wüste durch die wir wandern
voll friedlosigkeit voll angst
voll ohnmacht voll verschleierung
o herr mach uns zum werkzeug deines friedens
werkzeug der konflikte nicht der einstimmigkeit
werkzeug der wahrheit nicht der umschreibenden
verhüllung
werkzeug des glücks nicht der einschläferung
lasst uns zusehen ob das geht
was wir brauchen für den frieden
wir wollen das jetzt mit dir besprechen gott
wir brauchen viel mehr freunde
um mehr frieden machen zu können
freunde aus verschiedenen klassen auch solche ohne
thomas mann
freunde aus verschiedenen konfessionen auch solche
mit rosenkränzen
freunde aus verschiedenen geschlechtern auch homos
und lesben
freunde mit verschiedenen interessen auch solche die wir
nicht mögen
freunde die miteinander eine vision teilen
vom frieden der herstellbar ist
freunde die glauben
bewahre uns vor dem romantischen irrtum gott
die freundschaft sei ein geschenk und vom himmel
und vor dem konservativen irrtum
sie wachse in langen jahren wie bäume
lehre uns erkennen das sie arbeit ist
und gebaut wird wie alles was gut ist für uns
wir brauchen freunde die wissen
dass man nicht alles mit ihnen machen kann
die eine stimme haben und mitbestimmen
die solidarität üben mit dem der gemaßregelt wird
die immer angstloser werden
und so den frieden verbreiten
ohne zu lügen
schaffe in mir gott ein neues herz
das alte gehorcht der gewohnheit
schaff mir neue augen
die alten sind verhext vom erfolg
schaff mir neue ohren
die alten registrieren nur unglück
und eine neue liebe zu den bäumen
statt der voller trauer
einen neue zunge gib mir
statt der gewaltverseuchten
die ich gut beherrsche
mein herz erstickt an der ohnmacht
aller die deine fremdlinge lieben
schaffe in mir gott ein neues herz
und gib mir einen neuen geist
dass ich dich loben kann
ohne zu lügen
mit tränen in den augen
wenns den sein muss
aber ohne zu lügen